Welche Schritte würden Sie neu zu gründenden Jugendberufsagenturen empfehlen, um die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit in Gang zu bringen?
Wichtig ist es, sich darauf zu verständigen, welche Ziele man mit der Jugendberufsagentur erreichen will. Das gilt besonders für die Beteiligung der kommunalen Seite, da die Aufträge der Jobcenter (Rechtsträger SGB II, Grundsicherung) und der Agenturen für Arbeit (SGB III, Berufsberatung) häufig schon mit ihrem gesetzlichen Auftrag klar definiert sind. Die Kommunen – mit ihrer Vielfalt möglicher Schnittstellen - zum Beispiel Jugendhilfe inklusive Jugendberufshilfe (§13 SGB VIII), Schulamt, Migrationsämter, BAföG-Stellen und andere haben da eine breiter gefächerte Zielsetzung.
Damit sich alle Organisationen wiederfinden, ist eine gemeinsame Vision oder ein Claim erforderlich, mit der oder dem sich die Jugendberufsagentur definiert. Bei uns in Bielefeld ist es zum Beispiel die Vision "Gemeinsam Übergänge gestalten, damit keine Jugendlichen verloren gehen". Darunter können dann die strategischen Handlungsfelder mit den dazugehörigen operativen Zielen festgelegt werden. Diese Ziele können dann in einem Bottom-up-Prozess organisationsübergreifend durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgestaltet werden.
Meine Empfehlung ist, immer einen neutralen neuen Standort anzustreben oder zumindest einen bestehenden Standort so umzubauen, dass keine Organisation den Eindruck hat, nur Untermieter oder geduldeter Gast zu sein. Gerade in der Anfangsphase einer Jugendberufsagentur ist die wahrgenommene "gleiche Augenhöhe" auf allen Ebenen sehr wichtig.
Jugendberufsagenturen sind durch fachübergreifende Kooperationen gekennzeichnet. Wie lässt sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und positive Gesprächskultur initialisieren?
Erstmal sind die Mitarbeitenden aus jedem Rechtskreis überzeugt, dass der eigene Ansatz bei der Beratung, Begleitung oder Betreuung der richtige ist. Diese Überzeugung ist auch notwendig, um gute Arbeit zu leisten. Um aber zu einer rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit zu kommen, ist es erforderlich, die Arbeitsweisen, gesetzlichen Aufträge, operativen Möglichkeiten und Grenzen der anderen Rechtskreise kennenzulernen. Dies gelingt am besten, wenn man die Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit kennenlernt. Hospitationen in den anderen Rechtskreisen sind dafür eine sehr gute Möglichkeit und empfehle ich jeder neu startenden JBA. Erst wenn man die Arbeitsweisen der anderen Rechtskreise erlebt, erkennt man auch die Chancen und Möglichkeiten, die in einem anderen Arbeitsansatz oder Zugang zu den Jugendlichen liegen können.
Neben den formalen Begegnungen innerhalb einer Jugendberufsagentur sollte man außerdem den Raum schaffen, gemeinsam Erfolge zu feiern und den Raum für persönliche Begegnungen organisieren. Zum Beispiel gemeinsame Betriebsfeiern oder Betriebsausflüge, Weiterbildungen und Exkursionen.
Welche Hürden mussten Sie nehmen oder welche Vorbehalte überwinden?
Es gibt ganz praktische Hürden, die es bei der Ausgestaltung einer Jugendberufsagentur zu überwinden gilt. Wer bezahlt was? Wer darf haushaltsrechtlich was bezahlen? Was steht außen an der Tür? Wie wird gemeinsam Öffentlichkeitsarbeit gestaltet? Wer vertritt die Jugendberufsagentur nach außen? Wie kann man einen rechtskreisübergreifenden, handhabbaren Datenschutz organisieren? Welche Arbeitsschutzvorschriften von welcher Organisation gelten wo? Wie begegnen wir den Jugendlichen mit welcher Haltung vor Ort?
Auch die Vorbehalte, die zu Beginn gegenüber einer Jugendberufsagentur entstehen, muss man überwinden: Entsteht eine riesige neue Behörde? Was bringt das für den einzelnen Jugendlichen?
Welche Arbeitsformen oder Gesprächs- und Sitzungsformate haben sich in der Praxis bewährt?
Bewährt hat sich in der Praxis, dass sich gerade am Anfang der Jugendberufsagentur die Geschäftsführungen der Agentur für Arbeit, des Jobcenters Bielefeld, der Sozialdezernent und die Geschäftsführung der REGE als Lenkungskreis regelmäßig alle vier Wochen getroffen haben, um damit neben den gerade am Anfang schwierigen Alltagsthemen auch die Wichtigkeit der neuen JBA für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich zu machen. In einem zweiten Schritt ist jetzt die operative Steuerung auf die Koordinatorinnen und Koordinatoren der Rechtskreise übergegangen, damit die Entscheidungsprozesse nicht mehr so eng an den Lenkungskreis gebunden sind.
Ausgehend davon, dass die Prozesse nicht linear verlaufen: Welche Phasen haben Sie erlebt und was haben Sie getan, um eine positive Dynamik aufrechtzuerhalten?
In Bielefeld wurde schon 2007 ein gemeinsames Jugendhaus für die Aufgaben der Rechtskreise SGB II und SGB VIII gegründet. Eckpunkte einer Jugendberufsagentur gab es ab 2016, 2018 konnten wir in ein neues, gemeinsames Gebäude einziehen. Wir sind also schon recht lang in dem Ausgestaltungsprozess der Jugendberufsagentur. Deshalb ist es schwierig im Nachhinein die Phasen genau voneinander abzutrennen.
Wir in Bielefeld haben immer wieder gemeinsame Akzente gesetzt, um das Thema aktiv zu gestalten. Im Jahr 2014 zum Beispiel mit der Einrichtung einer Ausbildungsinitiative für Bielefeld, an der alle Akteurinnen und Akteure vor Ort beteiligt waren. Ein weiterer Akzent war die große Ausbildungskonferenz, mit der wir Handlungsleitlinien für Bielefeld entwickelt und umgesetzt haben. Unser Ansporn war dabei, dass egal welche Hürden wir intern oder auch extern als Jugendberufsagentur überwinden müssen, die Antwort der einzelnen Rechtskreise für sich allein auf jeden Fall ineffektiver sein wird als das gemeinsame Vorgehen als Jugendberufsagentur. Von daher halte ich die Zusammenarbeit aller Rechtskreise für alternativlos, um für alle Jugendlichen am Übergang von der Schule in den Beruf den bestmöglichen Berufseinstieg zu erreichen.
Wie sieht für Sie eine optimale Form der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit im Hinblick auf die Gestaltung von Kommunikation und Kooperation aus?
- Man braucht einen Lenkungskreis auf höchster Ebene, der einen Organisationsrahmen vorgibt und bei organisatorischen, finanziellen und strukturellen Anforderungen Entscheidungen treffen kann.
- Man braucht ein Leitungsgremium aller Rechtskreise, welches die operative Steuerung und Umsetzung organisiert.
- Man braucht Ressourcen und Personal für die externe, aber auch interne Öffentlichkeitsarbeit (Intranet, Newsletter, Instagram und so weiter) sowie für die fachliche Weiterentwicklung.
- Man braucht eine organisierte Plattform, auf der Mitarbeitende der JBA miteinander in Kontakt kommen können (zum Beispiel gemeinsame Aufenthaltsräume und ähnliches).
- Man braucht eine Beteiligungsform für alle Mitarbeitenden an der Entwicklung der JBA als ständigem Prozess.
- Man braucht eine Kommunikationsplattform für die anderen Akteure im Umfeld der Jugendberufsagentur (Jugendbeirat in Bielefeld).